08.07.2006 - FKG-Direktor Lietzmann
Lehrer „mit Haut und Haaren“ Göttinger Mathematiker: FKG-Direktor Walter Lietzmann
Er war kein herausragender Mathematiker, kein Zahlentüftler oder genialer Rechenkünstler – Walter Lietzmann (1880-1959) war ein sehr guter Mathematiker mit großen didaktischen und organisatorischen Fähigkeiten. Arno Spangenberg, der den langjährigen Direktor des heutigen Göttinger Felix-Klein-Gymnasiums in der Reihe „Göttinger Mathematiker“ vorstellte, betonte daher auch Lietzmanns Wirken als Didaktiker. Sein wichtigster Beitrag sei die Vermittlung von Mathematik gewesen, so Spangenberg. Dass er als Kind bei einer Matheprüfung durchgefallen sei, habe ihn früh davon überzeugt, dass Prüfungen problematisch seien, hatte Lietzmann in seinen Erinnerungen notiert. Zudem habe er erfahren, welchen entscheidenden Einfluss die „Umwelt und die Kameradschaft“ auf das Lernen habe.
Moderne Ansichten
Nach Göttingen kam Lietzmann während seines Studiums. Die Mathematikseminare bei David Hilbert hielten an der Universität, er wurde 1903 bei Hilbert promoviert und legte 1904 sein Staatsexamen ab. Eine Habilitation war nicht nur zu teuer – Lietzmann fühlte sich für den Beruf des Professoren einfach nicht „produktiv genug“. Er wurde „mit Haut und Haaren“ Lehrer, erst in Landsberg, später in Jena. 1919 holte Felix Klein den knapp 40-Jährigen an die Kaiser-Wilhelm-II.-Realschule, die in einem Gebäude an der Lotzestraße an der Ecke zur Böttingerstraße untergebracht war. Die Schule entwickelte sich unter Lietzmanns Leitung schnell zu einer Vorzeige-Schule. Zudem übernahm Lietzmann, der in der Calsowstraße lebte, einen Lehrauftrag in Didaktik an der Universität und wurde 1934 Honorarprofessor. In der Nazizeit zeigte sich Lietzmann als recht linientreu, als er in einer Neuordnung des Unterrichtes die Bedeutung der Mathematik für die rassistische Biometrik unterstrich. 27 Jahre – bis zu seiner Pensionierung 1946 - leitete Lietzmann die Schule, die ab 1928 Oberrealschule mit Reformgymnasium hieß, nach 1949 Felix-Klein-Oberschule und die seit 1956 den Namen Felix-Klein-Gymnasium trägt. Der Neubau aus den 20er Jahren galt damals als modern und beispielhaft. Die Schule habe als Vorkämpfer des Humanismus gegolten, so Spangenberg, und eine Vorreiterrolle übernommen. Lietzmann habe dort seine Reformideen umsetzen können, die er in vielen Veröffentlichungen publizierte. Diese Ideen, erklärte Spangenberg, seien auch heute noch aktuell. Seine Didaktik war anwendungsorientiert, „bewusst methodisch“, utilitaristisch orientiert und nach dem psychologischen Prinzip ausgerichtet. Er baute auf die „Selbstbestätigung des Schülers“. Mathematik war für ihn „nicht linear, sondern ein Gewebe, ein Geflecht und Netz“, führte der Referent aus. Obwohl Lietzmann sehr moderne Ansichten über die Lehrtätigkeit in Schulen vertrat, war er doch ein Lehrer seiner Zeit. Ein Beweis dafür saß am Dienstag unter den Zuhörern im Maximum des Mathematischen Instituts: ein ehemaliger Schüler, der sich daran erinnerte, von Lietzmann Ohrfeigen kassiert zu haben – für „Lärmmachen und Toben“.